Unsere gezwungene Flucht

Gespeichert von Wanja am
Rationen werden verteilt

Da die Situation in Indien noch vor zwei Wochen ganz entspannt gewesen ist, war für uns Volunteers die Covid-19 „Krise“ immer ein weit entferntes Thema. So schlug es uns umso heftiger ins Gesicht, als es plötzlich hieß, wir müssten abreisen. Das Auswärtige Amt empfahl es, und aus meinem Freiwilligenprogramm „weltwärts“ wurden alle Teilnehmer dazu aufgefordert zu gehen.

Wenn man plötzlich erfährt, den Dienst abbrechen zu müssen, ohne sich richtig zu verabschieden und sein neues Zuhause mit all den Zurückbleibenden verlassen soll, dann fällt einem das sehr schwer . Wir wollten bleiben, wir waren ja nicht in der Risikogruppe, und mit den momentan so vielen guten und starken Partnern vor Ort machten wir uns um unsere Sicherheit wenig Sorgen.   Auch wollte ich unsere Leute vor Ort nicht verlassen, ohne dass sie die Gefahr selber sahen, geschweige denn unser Gehen verstehen konnten, was zu dem Zeitpunkt noch nicht der Fall war.

Wir und alle unsere Lehrer haben wohl die Situation unterschätzt. Das einzusehen hat für uns lange gebraucht. In den folgenden Tagen überschlugen sich dann die Ereignisse. Die indische Regierung erkannte die Gefahr - Veranstaltungen, Museen und Einkaufzentren wurden geschlossen, bald wurden auch die Züge gestrichen, Busfahren verboten und die Taxidienste eingestellt. Im TV sahen die Menschen nun viele Schreckensszenarien aus Europa, Gerüchte wurden verbreitet, angebliche Heilmethoden erzählt und der Chickenpreis halbierte sich - aus Angst vor dem Virus.

So mussten unsere deutschen Gäste leider bei einem Lilluah-Besuch erfahren, wie sehr die Angst die Menschen verändern kann. Denn nach nur wenigen Minuten wurden sie von der Comunity aufgefordert, Lilluah sofort zu verlassen, sogar die Polizei stellte sich hinter diese Forderung. Und trotz dem Versuch argumentativ zu erklären, dass aufgrund der Länge ihres Aufenthaltes gar keine Gefahr bestehe, mussten sie hinaus.

Diese Situation, sowie eine ganz ähnliche Situation bei unserem Partner, dem Zentrum Don Bosco, der unser Hilfegesuch ablehnen musste, zeigte uns, wie schnell vielleicht auch wir in Gefahr sein könnten. Inzwischen wurde man auf der Straße oft komisch angeschaut (noch komischer!). Oft hörte man dann die Worte „Corona“. Zwar fühlte ich mich nicht wirklich in Gefahr, es unterstrich nur wie fremd wir hier noch immer waren. In den folgenden Tagen wurden alle Fernflüge gestrichen und es wurde klar, dass es auch für Indien eine Ausgangssperre geben würde.

Wie schrecklich das für unsere Familien sein würde, machte uns allen Angst. Schnell wurden noch mal Rationen für die nächsten Tage besorgt und verteilt, unsere Sozialarbeiter gaben Verhaltenstipps, es begann eine hektische und ängstliche Vorbereitung, bei der sich  niemand so richtig die Zukunft vorstellen wollte.

Schlussendlich glaube ich nicht, dass uns in Tikiapara von der Bevölkerung her Gefahr drohte, zumal wir mit Mr. Mamoon einen unglaublich mächtigen Partner hatten. Doch durch die Auseinandersetzung mit der Situation kam es immer wieder zu der Argumentation, „was wäre wenn“, gegen die man argumentativ nicht ankam. So entschied auch ich mich nach langem Ringen und einem unglaublich miesen Gefühl, mit der Rückholaktion des Auswärtigen Amtes zurück nach Deutschland zu kommen. Am Montagabend ging es dann ganz schnell, wir erfuhren, dass ab Mittwoch auch keine Inlandsflüge mehr gingen.Schon am Dienstagmorgen ging es nach Delhi, von wo wir Donnerstag früh dann zurück nach Frankfurt geflogen sind.

Ohne sich von allen verabschiedet haben zu können, herausgerissen aus der Arbeit im Projekt und mit riesigen Sorgen um unsere Kinder und ihre Familien ging es also zurück in die „sichere“ Heimat. Nach Deutschland, wo es all das gab, was unsere Familien vielleicht in Zukunft brauchen würden. Ein sehr mieses Gefühl ist das, ein Klos, der ganz tief unten sitzt.

Jetzt sitze ich in Deutschland, kann hier nicht viel tun und höre voller Sorge, wie sich die Lage immer weiter verschlechtert. Ein Ende, wie ich es mir nicht blöder hätte vorstellen können. 

Doch so tief, wie ich das Projekt und alle ins Herz geschlossen habe, wird es für mich nicht wirklich das Ende sein.